Yvonne Volkert
Kunst und Ökologie im Zeitalter der Technosphere
Publiziert in Kunst, Wissenschaft, Natur, Zur Ästhetik und Epistemologie der künstlerisch-wissenschaftlichen Naturbeobachtung (Eds. Markus Marder), Bielefeld: transcript Verlag, 2017. (Ausschnitt)
„Art forms have to tell us something about the environment, because they can make us question reality.“
Timothy Morton: The Ecological Thought, 2010
Der Film Primate Colors (2015) von Elke Marhöfer und Mikhail Lylov kann als ein Film betrachtet werden, der versucht, obig benannte “kritische Analysen der sozialen Gegebenheiten“ aus der Perspektive des neuen Materialismus durchzuführen. Er spricht eine Sprache, die weniger kritisiert und wertet als vielmehr zeigt und bezeugt. Zum Tragen kommt dabei eine Form des Ökologischen, die einerseits Handlungen und Aktionen wahrnimmt, wo man gemeinhin keine sieht, nämlich zwischen Materialien, Körpern und ihren Milieus, andererseits werden diese Kleinstformen der Ausbeutung als Teilbereiche globaler Systeme erkennbar, die prinzipiell alles, was Welt ist oder „Umwelt“, in nichtswürdigen Abfall verwandeln: Menschen, Tiere, Konsumgüter, Städte, Landschaften, Pflanzen. Ihre Strategie gibt dabei nicht, wie in den beiden vorher diskutierten Filmen, die eine, normalerweise ausgeblendete Kette der (Produktions-)Abläufe von Waren zu sehen, sondern die Vielheit ihrer Anschlüsse und Bewegungen.
Im Bild sind elektronische Geräte, etwa die Mobiltelefone, die der Pendlerhändler Zame von Hongkong nach Afrika bringt, wir sehen ihre Orte, Infrastrukturen, Verpackungen. Dementsprechend beginnt der Film mitten drinnen, in einem Chaos sich drehender Bewegungen und hell aufblitzender Oberflächen, dazu leises Dröhnen. Zunächst nicht einordnungsbar, gibt der Bildwechsel in die Farbe Magenta den Ausblick auf eine erbärmliche Verkaufskonsole mit elektronischen Konsumgütern frei. Die Kamera dreht sich, tastet sich den Geräten, den Pillen entlang. Bildstörung. Blick auf ein erleuchtetes Dollarzeichen, unverständliche Stimmen. Wechsel zu Blau, schwarze Hände auf verschnürten Paketen, die Frachtbriefe einstecken, Wagen einstellen. Wechsel zu Grün usw.
Auffallend ist, wie nahe die Kamera bei den Dingen ist. Es gibt keine Distanz, keine Übersicht, die Kamera scheint Teil dieses Arrangements von Gegenständen zu sein und wir selbst schauen aus der Perspektive des gezeigten Materials. Es ist die ungewohnte Nähe, die diesen Eindruck schafft, wie auch die permanenten Kamera-Bewegungen, die teilweise synchron mit den Bewegungen der gezeigten Gegenständen verlaufen, oft aber auch einfach abrupt abbrechen, wie man diese täglichen unbeabsichtigten Brüche erlebt, die in Bewegungsabläufen entstehen, wenn man an etwas anstösst oder etwas dreht und wendet.
So erscheint die Kamera nicht nur als passiv eingebundener Teil des verhandelten Szenarios, sondern auch als aktiv Beteiligte, als Beobachterin, die allein durch ihr mitschauendes Da-Sein eine Form der Gegenwart, der Gegenwärtigkeit schafft. Präsens und Präsenz in einem, die direkt im Bild generiert wird, mich unmittelbar hineinziehend, da ich angeschlossen bin. Je länger man den Film schaut, diese oszillierenden Farben und rhythmischen Bewegungen, diese fragmentierten Dinge und Körper, desto mehr kommen auch hypnotische Momente zum Tragen, Momente der Selbstvergessenheit und –auflösung, des Übergangs in eine Andersheit. Es sind Momente der Veranderung1, nicht als romantische Hingabe, sondern als Effekt der Verlangsamung der Bewegung, aus der einen die abrupten Brüche, Farb- und Richtungswechsel immer wieder auch hinausreissen. Dieses Mit-Sein in der Bewegung, diese Ko-Existenz mit dem Materiellen, führt zu einer Form von Teilhabe mit den Dingen, zu einer Zeugenschaft, die bewegt und körperlich, noch den nebensächlichsten Dingen ihre Aufmerksamkeit schenkt.
„Vor allem beim Aufnehmen und Wiedergeben der kapitalistischen Wirklichkeit (von extremer Ausbeutung von menschlichen und nicht-menschlichen Ressourcen) findet man den eigenen Zustand nicht in den Produktionsverhältnissen, sondern in widersprüchlichen Fakten, vernachlässigten Details, grotesken Zeichen. Die Wirklichkeit wird als grundsätzlich seltsam und obskur verstanden, wobei Filmen das Mittel ist, um das Obskure und Übernatürliche zusammenzufügen“, schreiben die Künstler_innen im Begleittext zum Film.2
Und so erscheint in diesem Film eigentlich alles als Neben-Sache, oft undeutlich, verschwommen oder angeschnitten, eingetaucht in die jeweils monochromen Farbfelder – oder „Territorien“, wie sie Lylov und Marhöfer bezeichnen –, die alles einebnen und den Eindruck des künstlichen Lichts in diesen künstlichen Warenhäusern und Fertigungshallen verdoppeln. Erst gegen Schluss schillern Bildkompositionen in verschiedenen Farben gleichzeitig. Erst nachdem man, bereits in der zweiten Hälfte des Films, das erste Mal den freien Himmel gesehen hat. Ein Himmel, in dem ein grosser Vogel, schwarz, sehr lange, sehr langsam, seine Kreise zieht. Von da an scheint sich die Atmosphäre leicht verändert zu haben, es ist irgendwie heller geworden, nicht freundlicher, aber man ist, wohl mit dem Vogel und den Packen, hinter denen sich die Containertüre laut krachend geschlossen hat, nach Draussen, gezogen, „ins Freie“. Ein Aussen, das auch vollgestopft ist, schon wieder Pakete, Verpackungen, doch nun sind sie, das wird immer klarer, Müll, wir sehen Autofriedhöfe, Abfalllandschaften, hören rhythmisches Klopfen – ein Stuhl wird auseinandergenommen – vor einer lilafarbenen Sonne. Hier fällt das irisierende, giftige Licht besonders auf, denn es wirkt falsch und schön zugleich. Während man dem Verpackungsmaterial makroskopisch auf den Leib rückt, sieht man von den Menschen, die hier arbeiten, nur Fragmente oder Schatten, sie sind Teile dieser Landschaften aus Betriebsamkeit, wie die Waren, Technologien, Lichter.
Anders die Tiere. Sie haben ein Gesicht: die beiden aufmerksam schauenden Katzen, die Affen – die Primaten – am Schluss, die in ihrem Käfig herumhüpfen und -hocken. Oder sie sind, wie der seine Kreise ziehende Vogel, Dreh- und Angelpunkt des Films. „Primate Colors“: Was ist zuerst da, fragt der Titel in seiner sprachspielerischen Mehrdeutigkeit. Sind es die Farben und deren Materialität? Oder sind es die Primaten, die Herrentiere, die Affen im Käfig, die sie zu sehen vermögen? Wie die Grenze verläuft im Territorium der Herren/Tiere, was drinnen und was draussen, was Natur und Kultur ist, bleibt unbestimmt. Eine Unbestimmtheit jedoch, die in dieser ganzen chaotischen und territorialen Bestimmtheit von Waren, Menschen und ihren Bewegungen – vielleicht etwas eröffnet. Schwindel, eine sich drehende blasse Palme, der Film bricht ab.
Strange Matter
Im ökologischen Denken heute spielt die Wahrnehmung des Materiellen eine zentrale Rolle: seien es Körper, Materialien, deren Kräfte und Bewegungen. Materialien sind wie Körper, sie sind Aktanten kapitalistischer, biopolitischer Regime. Sie sind generativ und aktiv, aber auch seltsam, undurchsichtig und unbestimmt. Viele der hier diskutierten Materialitäten haben mit dem Verdrängten, Verworfenen und Heruntergekommenen zu tun: Wir nennen es auch Abfall, Übriggebliebenes, Ausgeschlossenes, Vergessenes oder Übersehenes. Als solches ist es per definitionem ruhelos und unbestimmt.
1 Sigrid Adorf prägte diesen Begriff, um das Moment des Kreierens eines anderen Bildes von sich in der Videokunst zu bezeichnen. Er beinhaltet affektive Momente sowie die Idee des Ver-Änderns durch Ver-Andern. Vgl. Sigrid Adorf: Operation Video. Eine Technik des Nahsehens und ihr spezifisches Subjekt: die Videokünstlerin der 1970er Jahre, Bielefeld: Transcript 2008.
2 Mikhail Lylov und Elke Marhöfer: http://www.whateverbeing.de/China/Primate_Colors.html vom 30.10.2016.